Annie fuhr 2019 mit ihrem Diamant Elan von Berlin bis zum Nordkap. 2020 folgte ein Ultramarathon über 1000km vom tiefsten zum höchsten Punkt Deutschlands. Ihr jüngstes Langstreckenprojekt heißt Chasing Currents. Ein Mix aus Bikepacking und Rafting. In dieser Podcast-Folge, Episode 8, erzählt Annie von ihrer Expedition entlang und auf der Elbe. Sie nimmt dich mit an den Start der Tour und erklärt uns, wie ein solches Abenteuer als Schwangere überhaupt möglich war.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.

Inhalt laden


Inhaltsverzeichnis

Shownotes

  • 00:00: Einführung
  • 01:55 : Die Idee hinter Chasing Currents
  • 03:31: Was ist Bikerafting?
  • 06:52: Wer ist Annie?
  • 08:56: Warum die Elbe?
  • 09:46: Der Start
  • 17:23: Die Herausforderung weniger zu machen
  • 20:02: Geschichten erleben
  • 22:32: Das Ende vom Fluss
  • 26:50: Das nächste Abenteuer ruft
  • Feedback ist gerne gesehen: marketing_diamant@diamantrad.com
Hinweis von Diamantrad:
Alle Folgen des Diamantrad-Podcasts „Köpfchen spricht“ findest du auf unserer Übersichtsseite. Wir wünschen Dir viel Spaß beim Hören!

Einführung

Lorena: Herzlich Willkommen zum Diamant Podcast „Köpfchen spricht“. Wir sind heute zu dritt, unter anderem Thomas, und wir haben wieder einen externen Gast oder externe Gästin. Das ist Annie. Wir haben mit ihr schon ein bisschen eine Reise hinter uns, kennen sie schon länger, und heute dürfen wir über ein ganz spezielles Ereignis sprechen. Thomas, stell uns doch Annie direkt mal vor.

Thomas: Ich erinnere mich, es ist ungefähr zweieinhalb, drei Jahre her. Da saß ich an meinem Schreibtisch und mein Telefon hat vibriert, und ich bekomme auf mein Telefon ja auch die Notifications, wenn Leute auf unsere Beiträge einen Kommentar hinterlassen oder uns in ihren Beiträgen auf Social Media markieren. Und so war das auch an dem Tag, und ich habe mir das auch angeschaut. Das war irgendwie so ein junges, rothaariges Mädchen, relativ blasse Haut, dunkelblauer Parka, irgendwo in einer sehr kalten Landschaft. Nichts Spezielles vom Bild, aber ich habe dann den Text gelesen und das hat mich durchaus gepackt.

Das Mächen hat uns noch zwei- dreimal irgendwo markiert. Irgendwann hab ich zum Lars, den man aus dem Podcast ja auch kennt, gesagt: Lars, komm lass uns ihr einfach ein T-Shirt schicken, das ist doch cool. Die ist mit ihrem ganz einfachen Diamantrad bis ans Nordkap gefahren. Und das ist Annie, und so kennen wir sie ja auch von unserem Blog aus der Vergangenheit.

Diesen Sommer wollte sie eigentlich nicht mit dem Fahrrad fahren, sondern mal eben so die Elbe runterschwimmen. Das hat dann nicht ganz so funktioniert, und was dann funktioniert hat, warum es nicht ganz funktioniert hat, all das ist Thema vom Podcast heute. Aber erstmal sag ich: Hallo, Annie!

Annie: Hallo!

Die Idee hinter Chasing Currents

Thomas: Annie, wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, die Elbe runterzuschwimmen?

Annie: Das klingt jetzt erstmal nicht so intuitiv, aber nach der Nordkap-Tour, wo ich ungefähr dreitausend Kilometer solo gebikepacked bin – also mit dem Fahrrad gefahren bin – wollte ich das folgende Jahr nochmal so eine Tour machen. Aber dann kam 2020, COVID, und dann habe ich stattdessen mir überlegt, ich könnte ja laufen gehen. Dadurch, dass man auch nichts anderes machen konnte als um den eigenen Block zu rennen, habe ich dann angefangen mit dem Joggen. Vorher fand ich das ganz, ganz schrecklich, und dann eines Tages lag bei der Mitbewohnerin meines Freundes ein „In 20 Wochen zum Marathon“-Buch auf dem Tisch und habe das gelesen. Ich dachte, ich habe gerade eh nichts Besseres zu tun, die ganzen Kletterhallen haben zu, man darf sich eh nicht soweit raus bewegen, fange ich doch mal an, für einen Marathon zu trainieren.

Und als ich nach ungefähr fünf Monaten Training für einen Marathon fertig war, habe ich mir überlegt, wie wäre es denn mit einem Ultra-Marathon? Und bin dann von der tiefsten Stelle Deutschlands zur höchsten Stelle Deutschlands gerannt, das waren ungefähr tausend Kilometer. Und als ich dann überlegt habe, was mache ich als nächstes Langstreckenprojekt – Fahrradfahren habe ich gemacht, ich ibn gelaufen – da fehlt für ein Ultra-Triathlon ja nur noch das Schwimmen. Und dann habe ich damit einfach ein Projekt überlegt, wo ich 630km der Elbe schwimmen wollte.

Das ist dann aber ein bisschen anders geendet als geplant.

Mehr über Annie:
Auf @thebotbeyondthebrainz erfährst du mehr über die Geschichten und Abenteuer von Annie. Viel Spaß beim Entdecken.

Was ist Bikerafting?

Lorena: Du wolltest eigentlich schwimmen, später hast du dich für Bikerafting entschieden. Vielleicht ganz kurz: Was ist Bikerafting und wieso war es dann am Ende eben Bikerafting?

Annie: Bikerafting habe ich das erste Mal auf Social Media entdeckt, ein Bild von zwei Bikepackern, die durch Kanada, glaube ich, gefahren sind. Die sind an einen Fluss gekommen, weit und breit keine Brücke, weil sie in der absoluten Wildnis waren. Und dann haben die beiden aber ein Packraft, ein aufblasbares Boot, rausgeholt aus ihrem Gepäck. Packrafts sind sehr, sehr klein, die kann man überall unterbringen, wenn man sie gut faltet, kann man sie auf die Größe einer Küchenpapierrolle runterfalten. Und sie wiegen zwischen 1-2 Kilo, sind also wirklich sehr sehr leicht.

Thomas: Wir haben uns ja vor zwei Wochen in Berlin getroffen, da hast du die Geschichte erzählt und hattest dieses Packfraft dabei. Liebe Zuhörer, das kann man sich so vorstellen von der Größe, wenn es aufgeblasen ist, wie so eine Pool-Banane und hat auch ungefähr die gleiche Farbe. Und wenn es wieder zusammengefaltet ist, wie ein guter, moderner Schlafsack.

Annie: Genau, es ist wirklich sehr klein. Und diese 2 Bikepacker haben das genommen, um über den Fluss zu kommen. Und so bin ich dann auf das Konzept von BIkerafting gekommen. Das Fahrrad wird dann vorne auf das Packraft drauf gebunden, man nimmt dafür meistens noch das Vorderrad ab, damit man den Lenker besser zurechtlegen kann. Das abgenommene Rad kommt dann oben drauf. Und dann geht’s los, dann kommt man über den Fluss – oder man kann auch mit dem Fluss gehen.

Und dafür hab ich mich dann entschieden, aus der Kombination Fahrradfahren und Packraften Bikerafting gemacht und damit die Elbe von Quelle bis Mündung abgetuckert. Und die Ursache dafür war, dass ich zwei Monate, bevor es losgeht, habe ich festgestellt: Ich werde nicht alleine unterwegs sein, ich bin schwanger. *lacht* Und die Elbe ist extrem pestizidbelastet, auch wenn es in den letzten paar Jahren abgenommen hat. Ich habe mit einigen Umweltexperten geredet und sie gefragt, wie das denn wäre, wenn ich jetzt darin schwimmen würde. Und der Konsens war: Mach es bitte nicht. Zumindest, wenn du auf Nummer sicher gehen willst.

Ich wollte trotzdem noch das Projekt machen, daher habe ich das ein wenig umgeworfen, die Strecke fast verdoppelt und dann, wie gesagt, mit Fahrrad und Packraft losgezogen.

Lorena:  Du nennst deine Expeditionen „Great bad ideas“. War das Bikerafting jetzt eher eine great oder eine bad idea?

Annie: A great idea. (lacht) Packraften macht super viel Spaß. Allein die ganzen Wanderwege, die das einem eröffnet. Ich habe dadurch eine andere Abenteuerin kennengelernt, Kathi Kneip, die jetzt im Januar ihre arktische Weltumrundung startet, auch mit dem Packraft, und zu Fuß.

Wir waren ganz alleine teilweise, einfach in unseren Packrafts auf dem Fluss, da war niemand sonst, weil die Elbe ja extremen Tiefstand hatte. Ich liebe das Packraft, es ist ein wunderbares Vehikel, um voranzukommen. Und besonders in Kombination mit dem Fahrrad – man ist so flexibel, das ist einfach geil.

Wer ist Annie?

Thomas: Also in jedem Fall war der Abenteuerdrang in dir drin. Vielleicht müssen wir da nochmal ganz groß ausholen und überhaupt sagen: Okay, dieses kleine rothaarige Mädchen im blauen Parka, das ans Nordkap gefahren ist, einmal durch Deutschland gelaufen ist, dann erst die Elbe runterschwimmen wollte und dann mit dem Floß und Fahrrad entlang reisen wollte: Vielleicht ist der Eindruck entstanden, du bist die mega Abenteuerin. Aber wer bist du eigentlich im realen Leben?

Annie (lacht): Ich bin Neurowissenschaftlerin, ausgebildete Biochemikerin. In Richtung der Neurowissenschaften habe ich erst in den letzten ungefähr sechs Jahren gewechselt, arbeite auch an meiner Doktorarbeit zu den Themen, speziell Lernen und Gedächtnis. Ich komme eigentlich aus dem Klettersport, das waren Höhenmeter, nicht allzu viele Höhenmeter auf einmal, das war eher meine Nische, in der ich viel gemacht habe. Das mit dem ganzen Langstreckensport kam deutlich später.

Thomas: Und bist du so auch eine klassische Leistungssportlerin oder mehr im Ursprung eigentlich ein Freizeitathlet, Klettern am Wochenende mit Freunden?

Annie: Ich habe früher Wettkämpfe mitgemacht im Kletterbereich und habe auch sehr, sehr hart trainiert. Ich würde sagen, dass ich mich auch ziemlich effektiv ins Overtraining Syndrome reintraineirt habe. Dabei habe ich gemerkt, dass ich langsam die Liebe für den Klettersport verliere, weil ich sehr von Leistung getrieben war. Und seitdem ich mich davon versucht habe zu lösen, dadurch bin ich auch zu diesen Langstreckenabenteuern gekommen, weil es besser passt zu dem, worum es mir wirklich geht, nämlich: Ich möchte eine Geschichte erleben. Ich möchte Leute kennenlernen auf der Strecke, wissen, wie die leben, mir Zeit dafür nehmen. Und nicht mehr von irgendwelchen Zahlen und Leistung getrieben werden, sondern einfach im Moment wahrnehmen, wo ich bin und die Geschichte dieser Tour wirklich wahrnehmen.

Warum die Elbe?

Thomas: Was ist die Geschichte der Elbe?

Annie: Ich bin an der Elbe geboren in Magdeburg und auch, wenn ich nicht direkt an ihr aufgewachsen bin, sondern mit 11 dann wieder zu ihr zurückgekommen bin, nachdem wir eine Zeitlang in Amerika gelebt haben als Familie, wollte ich einfach diesen Fluss besser kennenlernen. Denn für mich war es immer extrem faszinierend, wo denn all dieses Wasser herkommt.

Und die Elbe hat ja auch viele Überflutungen in der Zeit durchgemacht, wo ich dort gelebt habe, und ich fand es immer extrem beeindruckend, was dieser Fluss für eine Kraft hatte, wie sie einfach gemacht hat, was sie wollte, und ich wollte einfach wissen: Wo kommt das her und wo geht das hin? Und deswegen war für mich diese Tour sehr sehr wichtig und explizit diesen Fluss näher kennenzulernen.

Hinweis von Diamantrad:
Möchtest du mehr über dieses Bikerafting-Abenteuer erfahren? Annie erzählt ihre Geschichte auch in unserer Blogserie Bikerafting entlang und auf der Elbe – Teil 1-7. Wir wünschen Dir viel Spaß beim Lesen!

Am Start der Elbquelle

Lorena: Nimmst du uns mal mit an den Start? Auf die ersten Tage dieser Tour?

Annie: Also als ich früher an der Elbe gesessen habe und gefragt habe „Wo kommt die jetzt eigentlich her?“, habe ich irgendwann mal nachgelesen: Die kommt aus dem tschechischen Riesengebirge. Da habe ich mir sowas vorgestellt wie die Alpen, aber in Tschechien (lacht), und dass sie dann da durchfließt. Ich hatte ab und zu gehört „Man muss die Dämme jetzt hochbringen, um die Flut hier bei uns in Magdeburg abzuschwächen“. Und ich hatte mir vorgestellt, dass das ein reißender, weißer Fluss so ähnlich wie der Rhein an der Rheinquelle ist, also schon was Heftiges.

Und dann sind wir da nach Spindlermühle in Tschechien gefahren. Ich sage wir, weil ich auch noch ein Filmteam mit dabei hatte, die die ganze Reise dokumentiert hat. Und wir sind dann zu der Quelle hingewandert, hingerannt in meinem Fall, und dann war da einfach nur dieser Block, so ein Mühlenstein. Da war Wasser drin, das Wasser war sehr unbeweglich, ab und zu kam eine kleine Luftblase hoch. Es war kaum Bewegung am Start, dieser Fluss ist an der Quelle also sehr, sehr ruhig. Ich würde das fast als Pfützchen bezeichnen (lacht), und hatte absolut gar nichts mit dem zu tun, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es war deutlich kleiner.

Und in dem Moment war es auch noch viel surrealer, weil ich hatte mir das immer als etwas Magisches vorgestellt, die Elbquelle kennenzulernen, und dann stand ich da, umgeben von dreißig anderen Touristen, die sich auch die Quelle angucken wollten, über mir schwebte eine Drohne, die das filmisch einfangen sollte, und alle haben mir zugeguckt, wie ich diese Quelle anfasse. (lacht) Das war deutlich anders, als ich mir das vorgestellt hatte.

Lorena: Dann ging es irgendwann los. Da war ja unter anderem das Raft, da war Mango – also das Diamant 135 – da warst du, nicht zu vergessen, mit Baby im Bauch. Und da war aber auch noch diese unglaubliche Hitzewelle. Woher hattest du die Energie, die Tour wirklich auch zu starten und fortzuführen?

Annie: Ursprünglich war mein Plan, ungefähr 100-120 Kilometer mit dem Rad zu fahren und dann so schnell wie möglich auf das Packraft umzusatteln. Ich bin in Tschechien extrem schleppend vorangekommen, eben weil es super warm war. Wir hatten glaube ich 38°C. Ich hab mir jeden Tag gewünscht, dass es am nächsten Tag vielleicht ein bisschen entspannter ist. Die Hitzewelle hielt aber bis zum Ende der Tour. Ich hatte vielleicht drei Tage, wo es nicht heiß war, da gab es dann aber Gewitter (lacht). Und ich bin dann auf das Packraft erst umgestiegen in der Nähe von Děčín, eine größere Stadt davor. Obwohl ich vorher schon häufiger am Fluss stand und auch das Packraft aufgepumpt hatte, alles schon aufgebunden hatte, und mir dann vorgestellt habe, bei 39° ohne Schatten einfach komplett verbrutzelnd auf diesem Fluss mich voran zu bewegen. Und ich konnte es nicht über mich hinwegbringen und dachte, ich sterbe an einem Hitzeschlag. Ich habe es dann zweimal wieder zusammengepackt und bin dann doch mit dem Fahrrad weiterfahren.

Und wenn ich auf diesen Touren bin, dieses Weiterkommen – solange man gestartet ist, finde ich das Weiterkommen relativ machbar. Man muss den schlimmsten, schwierigsten Schritt überleben, an die Startlinie zu kommen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass man auch die Zielgerade erwischen wird. Und da war für mich einfach die Hitze zwar ein Problem, aber ich habe dann versucht, dem entgegenzusteuern, indem ich früher anfange oder viel später in die Nacht reinfahre und versucht habe, diese kühleren Stunden abzupassen und mich mittags in den Schatten zu legen und zu schlafen.

Die Herausforderung weniger zu machen

Thomas: Wie viel hast du denn geschlafen an einem typischen Tag? Wie sah so der Tag insgesamt aus?

Annie: Einen typischen Tag gab es nicht. Allgemein habe ich versucht, spätestens zwischen sechs und sieben aufzustehen. Dann, bis alles aufgeräumt war, wieder auf dem Boot oder Fahrrad war, hat das ungefähr 1,5 Stunden gedauert. Ich bin morgens nicht die schnellste Person (lacht), und dann ging es los.

So gegen 1 Uhr, wenn die Hitze richtig anfing, unerträglich zu werden, habe ich Pause gemacht, was gegessen, und eine halbe Stunde geschlafen. Und dann habe ich wieder eine Stunde gebraucht, loszukommen, weil die Hitze immer noch unerträglich war. Ich bin dann meistens weitergefahren bis relativ spät in die Nacht, so bis elf. Das war ja irgendwie machbar. Das Diamant 135 hat auch ein sehr, sehr gutes Licht vorne (lacht), also man kann sich wirklich noch weiter bewegen.

Und dann verschob sich mein ganzer Rhythmus immer weiter nach hinten, weil ich musste die Strecke noch aufholen, die ich während des heißen Tages nicht geschafft habe. Und dann wurde es Mitternacht, 1, 2 Uhr. Dementsprechend bin ich dann nicht mehr um 6 aus dem Bett gekommen und dann hat sich der Tagesrhythmus verschoben.

Lorena: Ich glaube, dein Freund war es, er fragte dich mal: Hey Anni, weißt du, was du da tust?

Annie: Ja, das war auch an einem sehr anstrengenden Tag gewesen. Da war sehr viel Wind. Das Filmteam war dieses Mal bei mir. Wir haben das Ganze so organisiert, dass sie mich prinzipiell in Ruhe gelassen haben, sodass es immer noch self-supported war. Ich habe kein Essen von ihnen angenommen und mir auch noch sonderlich etwas zugespielt. Dann hatten wir relativ kurz geschlafen, es war sehr windig gewesen, und ich bin in meinem Packraft einfach eingepennt.

Und ich hatte ihm das dann so erzählt, „Das ist wirklich sehr, sehr anstrengend hier“, und er fragte mich: Was machst du da eigentlich? Weißt du, was du da machst und wie du mit dir selber gerade umgehst? Du weißt schom, dass dein Körper gerade doppelte Leistungen bringen muss?“ Und das war auch der Punkt, wo ich gesagt habe: Okay, vielleicht muss ich wieder ein bisschen runterschrauben. Wusste ich, was ich da mache? Ich wollte einfach vorankommen. Wusste ich, wo meine körperlichen Grenzen waren? Die haben sich gefühlt jeden Tag weiter verschoben. Die Person, die ich am Start war, war ich definitiv nicht mehr am Ende. Das hat man auch daran gemerkt, dass ich am ersten Tag 120km mit dem Rad fahren konnte, und am letzten Tag waren teilweise 35km schon Limit.

Lorena: Also war das das Baby, das so ein bisschen den Rhythmus vorgegeben hat?

Annie: Ja, absolut. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, wie viel Einfluss das doch haben würde. Ich hatte mir gewünscht, dass ich – ich kann mich auf meinen Touren normalerweise sehr gut auf meinen Körper verlassen, ich weiß, was er mir geben kann, was ich ihm geben muss. Und in diesem Fall hat sich das einfach nicht richtig einpendeln wollen. Sondern der wollte immer mehr von mir, immer mehr Pausen, mehr Essen, und immer mehr Rücksicht. Und da musste ich dann irgendwann einknicken und sagen: Ok, dann kriegst du das halt.

Da war auch ein Gespräch mit einer Freundin Anna, die auch so eine Expedition macht und auch die letzte Expedition schwanger gemacht hat, sehr sehr wichtig, die mir dann gut zugeredet hat und auch immer wieder mal gesagt hat: Du weißt schon, dass du eine Pause machen kannst und auch musst?

Thomas: Das ist ja das Mentale beim Abenteuer oft, dass man sich anfeuern muss: Du weißt schon, du kannst noch mehr machen. Für dich jetzt eben diese spezielle Herausforderung: Du weißt schon, du kannst auch weniger machen. Wie trainierst du dich mental? Wie bereitest du dich mental auch so auf ein langes Abenteuer vor?

Annie: Ich versuche mir vorzustellen, was die schwierigen Aspekte sein könnten. Ich finde die ersten Wochen am anstrengendsten, wenn man sich auf das ganze Projekt einlässt. Man hat noch nicht das Selbstbewusstsein aufgebaut, der Rhythmus ist noch nicht ganz drin, der Magen spielt verrückt, weil man nervös ist, und zu wissen, dass man in den ersten paar Tagen besonders vorsichtig mit sich selbst umgehen muss, nicht zu sehr pushen, dann lieber am Ende nochmal, als am Anfang sich direkt einmal kaputtzumachen.

Mit dieser Attitüde komme ich relativ weit. Es ist diese Einstellung von: Ich bin da, wenn ich da bin. Ich werde schon irgendwie hinkommen und bis dahin muss man einfach Ruhe bewahren.

Lorena: Also du bist schon eher die Macherin. Akribische Vorbereitung, Planung, das ist nicht so dein Ding?

Annie (lacht): Es kommt auf die Größe des Projekts an. Diese drei Projekte waren relativ nah an bestehender Infrastruktur. Das erlaubt für viel mehr Fehler. Wenn ich nicht genügend Essen habe, ist das extrem nervig, aber ich werde nicht verhungern. Ich kann immer Leute fragen, ob sie mir helfen. Das ist was ganz anderes, wenn ich jetzt auf eine Expedition in die Arktis gehe, wo ich komplett abgeschnitten bin und ich habe für einen Tag zu wenig essen eingepackt, habe ich tatsächlich echte große Konsequenzen.

Aber dadurch, dass auch viel von diesem Abenteuer davon lebt, dass Dinge schiefgehen und nicht funktionieren, lasse ich schon relativ viel Spielraum (lacht) für ausbaufähige Planung. Um einfach auch dem Zufall in die Hände zu spielen, denn man lernt Leute kennen, meistens in den Momenten, wo man so richtig auf die Fresse gefallen ist (lacht) und nach Hilfe fragen muss, oder wo man sich einfach noch mehr aus der Komfortzone bewegen muss.

Eine Tour, wo ich jetzt geplant habe: Ok, ich fahre hier um 8 Uhr los, um 18 Uhr bin ich bei diesem Hostel und bei diesem Zeltplatz, das ist nicht meine Art zu touren. (lacht)

Geschichten erleben

Thomas: So hab ich das früher gemacht – mache ich heute aber auch nicht mehr. Du hast vorhin gesagt, das was dich interessiert, sind die Geschichten, die du unterwegs erlebst, und die Menschen, denen du unterwegs begegnest. Nimm uns da nochmal mit – vielleicht gibt es da so einen speziellen Menschen, der dir in Erinnerung geblieben ist von der Reise entlang der Elbe?

Annie: An der Elbe hatte ich den Moment, das war auch nach einem Gespräch mit Anna, wo ich gesagt habe: Ich komme hier gar nicht voran, irgendwie nervt mich das alles total, mein Körper bringt nicht die Leistung, die ich möchte. Und sie hat gesagt: Warum machst du dir denn so viel Druck? Lernst du überhaupt gerade die Leute kennen, die an dem Fluss sind? Da habe ich überlegt und gedacht: Ne, nicht so richtig, weil ich die ganze Zeit Strecke machen möchte. Und ich habe weiter darüber nachgedacht, dass mir das auch gar nicht so gut gefällt, und habe an dem Tag relativ früh abgebrochen. Das war in der Nähe von Riesa, und habe mich dort einfach an einen wunderschönen alten Baum mit meinem Zelt drunter gelegt und bin dann relativ früh eingeschlafen, um vier Uhr morgens aufgewacht.

Der Nebel ging so von der Elbe hoch, es war wirklich wunderschön, und dann kommt ein Mann auf mich zu. Der hat sich dann gefragt, was ich denn da mache, und ich hab einfach extrem langsam mit meinem Frühstück weiter gemacht, um mich mit ihm zu unterhalten, und hab ihn gefragt, wie das denn ist für ihn an der Elbe. Und es stellte sich raus, dass er sein gesamtes Leben dort gelebt hatte und dass er nie auf die Idee kommen würde, sich diese Elbe von Anfang bis Ende anzugucken, weil er sie kennengelernt hatte zu einem Zeitpunkt, als die Elbe noch, wie er sagte, zum Himmel stank. Da wollte er nichts mit diesem Fluss zu tun haben, daher hat er ihn einfach nicht interessiert.

Und dann hat er mir von seinem Leben erzählt und warum er auch nicht weg geht, das war auch, weil seine Frau, die vor ein paar Jahren verstorben war, mit der hatte er so viele Momente dort geteilt, und es kam ihm gar nicht in den Sinn, dort wegzugehen. Er konnte gar nicht mehr. Und irgendwie war das für mich dieser Morgen mit ihm, dieses Gespräch, sehr sehr wichtig, um wieder zu merken, wer hier an der Elbe wohnt, wie dieser Fluss doch – selbst wenn er stinkt (lacht) und irrelevant wirkt – trotzdem ein massiver Teil im Leben von den Leuten ist.

Das Ende vom Fluss

Thomas: Kommen wir langsam mal zum Ende. Und damit meine ich jetzt nicht das Ende vom Podcast, wobei auch da sind wir gar nicht mehr so weit von entfernt, sondern eigentlich das Ende vom Fluss. Weil irgendwo hört diese Elbe ja auf, und damit auch dein Abenteuer, deine Reise. Wie war das? Was war das für ein Moment? Was passiert in einem, wenn das Ende greifbar wird?

Annie: Ich finde das Ende auf solchen Touren immer extrem schwierig. Nicht schwierig, es ist so ein bittersüßes Gefühl, weil man natürlich auf der einen Seite extrem froh und stolz ist, sich freut, dass es zu Ende ist. Und danach geht alles irgendwie weiter. Am Ende der Elbe war ich körperlich ziemlich fertig – ich habe mich sehr auf die körperliche Ruhe gefreut danach.

Aber von dem Fluss bis ungefähr Geesthacht, also kurz vor Hamburg, hatte ich immer das Gefühl: Dieser Fluss tat mir einfach richtig Leid. Durch die Hitzewelle war das Wasser extrem niedrig, teilweise konnten wir ungelogen einmal vom einen Ufer zum anderen gehen, und in Tschechien wurde der Fluss extrem häufig gestaut. An den Schleusen hat er nie so richtig Fahrt aufgenommen, hatte nichts von der Kraft, die ich eigentlich von diesem Fluss kannte. Ich war darüber ziemlich unglücklich und hatte das Gefühl, dass es auch an uns liegt, dadurch, dass ich sehen konnte, wie viel Wasser abgepumpt wurde auf Agrarflächen. Und dann die Hitzewelle durch den Klimawandel: Es tat mir einfach weh.

Und am Ende, hinter Geesthacht, hat dieser Fluss extrem an Fahrt aufgenommen, er wurde unfassbar breit, hatte nicht mehr wirklich was mit einem Fluss zu tun, dadurch, dass die Nordsee da auch reinfließt. Da hatte er endlich diese Gewalt, die ich gewohnt war, und noch viel mehr oben drauf. Es war einfach faszinierend dabei zuzugucken, wie Ebbe und Flut in diesem Fluss auch gespielt haben, diese massiven Ozeandampfer, die ihre Fracht in den Hamburger Hafen bringen, zu sehen. Ich habe mich ab Hamburg auch nicht mehr getraut, aufs Wasser zu gehen (lacht), weil ich mich nicht getraut habe, mit der Ebbe, Flut und diesen Ozeandampfern irgendwie konkurrieren zu können in meiner kleinen Nussschale.

Als sich das Ganze geöffnet hat zur Nordsee, hat sich dieser Fluss einfach so frei angefühlt. Ich war einfach so stolz (lacht), obwohl das total komisch klingt, auf diese Entwicklung von diesem kleinen, schmächtigen Pfützchen im tschechischen Riesengebirge, bis hin zu diesem breiten, offenen Meeresfluss. Und ich konnte dadurch auch diese Tour emotional sehr gut abschließen, weil ich so glücklich war zu sehen, wie diese Geschichte endet, und zwar gut in diesem Fall.

Thomas: Vielleicht ist das ja auch eine schöne Parabel auf den Lauf des Lebens und nimmt so ein bisschen vorweg, wenn dann in nicht mehr so vielen Tagen du tatsächlich zu dritt sein wirst mit deinem Freund.

Annie: Ja, ich musste natürlich während der Tour auch die ganze Zeit drüber nachdenken: Während ich der Elbe beim Wachsen zusehe, habe ich auch gemerkt: Am Anfang der Tour waren die Bewegungen in meinem Bauch relativ schwach und klein. Ich hatte früh was gemerkt, aber nicht so viel. Und am Ende der Tour bin ich jeden Morgen aufgewacht und habe gemerkt, wie sich da jemand drin dreht. Und der Elbe beim Wachsen zuzuschauen war extrem berührend, wie sehr wir Einfluss auf diesen Fluss haben und nehmen. Und am Ende macht sie trotzdem, was sie will. Und genau das habe ich mir für meinen kleinen Menschen gewünscht: Einfach sich frei entwickeln können und irgendwann auszubrechen und in den eigenen Bahnen zu fließen.

Das nächste Abenteuer ruft

Lorena: Da kommt ein neues Kapitel, das Familienkapitel. Aber Annie: Du wärst nicht Annie, wenn du nicht schon an dein nächstes Abenteuer denkst. Stimmt das und kannst du uns mitnehmen, was du Verrücktes geplant hast?

Annie: Also…wir beide, mein Freund und ich und hoffentlich auch die Kleine (lacht), freuen uns schon auf die Elternzeit, weil wir tatsächlich vorhaben, in einem Campervan durch Europa zu reisen. Und es wird damit anfangen, dass wir im April in den Norden fahren, nach Norwegen, und zwar für ein Expeditions-Trainingscamp. Und was ich geplant habe: Ich bin Teil von einem Team, was Grönland überqueren möchte, „Green over Greenland“. Wir wollen so nachhaltig wie möglich ein großes Expeditions-Abenteuer – wo es dann tatsächlich akribischere Planung und Vorbereitung eben wird – durchzuführen und versuchen, wie man bei so großen Expeditionsprojekten den Carbon Footprint verringern kann.

Aktuell ist der Plan, 1.000km einmal quer durch Grönland durch Muskelkraft unsere Pulks zu ziehen und dabei auch Messungen an der Eisschicht durchzuführen und über menschliche Ausdauer und die physiologischen Effekte von solchen Touren zu untersuchen.

Thomas: So, also ich weiß nicht, wie es dir geht, Lorena, aber ich würde jetzt gerne ans Fenster treten, rausschauen und überlegen, was mein nächstens Abenteuer sein könnte. Anni, ich nutze jetzt mal die Gelegenheit, erstmal noch Danke zu sagen, ganz, ganz herzlichen Dank dafür, dass du uns heute mitgenommen hast, ganz ganz herzlichen Dank dafür, dass wir mehr darüber lernen können, wie diese ganze Reise abgelaufen ist in dem Blog, in der Serie von Blogbeitragen, die du uns zur Verfügung stellst. Ganz ganz herzlichen Dank dafür, dass du uns vor ungefähr drei Jahren in einem Beitrag markiert hast – das mit dem T-Shirt war eine gute Idee. Willst du noch einen Pullover haben?

Annie (lacht): Ja! Vielleicht in einer kleineren Größe auch, wenn ich da wieder reinpasse.

Lorena: Auch ich möchte mich sehr bedanken. Ich freue mich einfach nur auf die nächsten Geschichten von dir.

Annie: Ja, ohne Diamant wäre ich nicht ans Nordkap gekommen, und daher habt ihr auch einen extrem großen Anteil geleistet, mein Leben zu ändern. Danke dafür!

Thomas: Das begeistert uns und daher richte ich jetzt meine Worte einmal nach draußen: Das, was ich gerne mitgeben wollte in dieser ganzen Geschichte ist: Diese Doktorandin, Biochemikerin, Abenteurerin, Ultra-Abenteurerin, ist im Kern eigentlich ein ganz normaler Mensch, der am Wochenende auch nur den Tatort und Netflix schaut. Und ihr habt sie nicht gesehen, aber wenn ihr sie vor euch sehen würdet: es ist ein kleines, rothaariges Mädchen in einer blauen Jacke – also heute nicht – aber ein ganz normaler Mensch. Habt euren Mut, aufs Abenteuer rauszugehen. Und wenn ihr es mit einem Diamant macht, dann lasst es uns wissen. Ein T-Shirt finden wir immer!

Weiterführende Links zu den angesprochenen Themen