
Corona und Mobilität: Was wurde aus Pop-up Radwegen?
Die Corona-Pandemie hat den Fahrradboom befeuert. Die Zahl der Radfahrer:innen steigt noch schneller als bisher. Selbst heute, zwei Jahre nach dem Beginn der Krise, werden immer noch so viele Fahrräder verkauft, wie nie zuvor in der mobilen Neuzeit. Aber was ist mit der Infrastruktur – zum Beispiel Pop-up Radwegen? Eins nach dem anderen.
Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie liegt das Fahrradfahren in ganz Europa stark im Trend. Das deutsche Startup Bikemap hat untersucht, wie sich die Pandemie auf das Fahrverhalten in den einzelnen Ländern Europas tatsächlich ausgewirkt hat. Im Großen und Ganzen zeigt sich, dass Rad-Fans in Europa seit der Pandemie mehr Kilometer auf dem Fahrrad zurücklegen. Sie sind aber auch etwas langsamer geworden.
WAS HEISST DAS KONKRET?
Radfahrer:innen aus Deutschland beispielsweise bauten während der Pandemie ihren Bewegungsradius von rund 14 Kilometer auf 20 Kilometer aus. Sie legen also fast anderthalbmal so viel Wegstrecke zurück. Damit landen die Deutschen auf dem zehnten Platz im Distanz-Ranking. Sie verbringen auch mehr Zeit im Sattel. Im Vergleich zu vor der Pandemie sind Deutsche fast anderthalbmal so lange mit ihrem Fahrrad unterwegs (83 statt 60 Minuten wöchentlich). Statt den rund 15 km/h haben Radfahrer:innen in Deutschland allerdings am Ende ihrer Fahrt nur noch 13.7 km/h auf dem Tacho.
Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: (1) Viele der neuen Fahrer kommen aus den Städten. Ampeln, Kreuzungen und Verkehr verringern dort die Geschwindigkeit. So sinkt dann auch der nationale Durchschnitt. (2) Neue Fahrer gehören seltener zu den ambitionierten Sportsfreunden, sondern zu den Alltagsfahrern. Das Radfahren erreicht also mehr Menschen in der breiten Masse. In jedem Fall ist weniger Tempo also eine gute Nachricht für mehr Nachhaltigkeit.

UND WIE STEHT ES UM DIE SICHERHEIT?
Um ein ausgewogenes Bild der Fahrrad- und Pedelec-Sicherheit zu bekommen, hat Bosch eBike System 2020 eine Umfrage in insgesamt sechs Ländern durchgeführt. Dabei wurden insgesamt rund 3.000 Personen aus Deutschland, der Schweiz, der Niederlande, Frankreich, Großbritannien und den USA befragt. Bosch eBike Systems kommt zum Schluss, dass E-Bikes im Vergleich zu konventionellen Fahrrädern öfter im Alltag genutzt (50 %) werden – trotz der vielen E-MTBs in deutschen Wäldern. Außerdem sind E-Bike-Fahrende generell häufiger unterwegs und legen längere Strecken zurück. Dadurch sind sie auch stärker den Risikofaktoren im Verkehr ausgesetzt.
Deshalb sagt Bosch, dass die unterschiedliche Nutzung von Fahrrad und E-Bike nicht nur bei der Planung zukünftiger Radverkehrsnetze mitgedacht werden müssen, sondern auch bei der Analyse der aktuellen Verkehrssicherheit auf dem E-Bike. Fast ein Fünftel der Befragten gab in der Umfrage an, nach einem Unfall keine direkte Hilfe bekommen zu haben.
Unser konkreter Vorschlag: Auf Autobahnen sind Nothilfesäulen selbstverständlich. Sie bieten nicht nur eine Kontaktmöglichkeit, sondern helfen auch bei der Lokalisierung von Unfällen. Radschnellwege zwischen Städten würden erheblich von solchen Anlagen profitieren.
UND WAS WURDE NUN AUS POP-UP RADWEGEN?
Einige Stadtregierungen erkannten den Trend zum Fahrrad und bauten während der ersten Pandemie-Monate temporäre Verkehrsinfrastrukturen, die sogenannten Pop-up Radwege. Diese wurden intensiv diskutiert, teilweise auch als sinnloser Aktionismus verteufelt. Europäische Städte wie Barcelona, Paris und Brüssel haben im Zuge der Pandemie ihr Radwegnetz ebenfalls ausgebaut – oft sogar mehr als Berlin.
Wissenschaftler am Berliner Klimaforschungsinstitut MCC nahmen sich der Frage an, ob diese Investitionen denn nun wirklich das Verhalten ändern konnten. Dafür untersuchten sie 106 Städte. Spoiler-Alarm: Das Ergebnis ist positiv.
Die Pop-up Radwege wurden hauptsächlich auf Hauptstraßen eingerichtet. Dadurch wurden Lücken im Radnetz gefüllt und so die gesamte Radinfrastruktur verbessert. Diese Maßnahmen erwiesen sich als kostengünstig und wirksam zugleich. Die Umsetzung von einem Kilometer Pop-up Radweg mittels Bodenmarkierungen und Leitbaken kostete beispielsweise in Berlin nur 9.500 Euro. Ein Blick auf die Wirksamkeit zeigt, dass auf errichteten Pop-up Radwegen zwischen März und Juli 2020 bis zu 48 Prozent mehr Radverkehr herrschte. In mehreren Städten wurden solche Pop-up Radwege nun zu festen Fahrradstreifen umfunktioniert. So beispielsweise in München. Auch in Berlin sind die mehr als 8 Kilometer langen Pop-up Spuren, die auf dem Höhepunkt der Pandemie angelegt wurden, jetzt reguläre Fahrradspuren.
UND WAS WURDE AUS DEM AUTOVERKEHR? HABEN DIE POP-UP RADWEGE ZU MEHR STAUS GEFÜHRT?
Die Autolobby fürchtete, dass durch die neuen Pop-up Radwege mehr Staus entstehen. Sowohl in München wie auch in Berlin wurden seitens der Autolobby Klagen eingereicht. Diese wurden aber abgelehnt. Ob durch die weggefallenen Fahrspuren mehr Staus entstanden sind, lässt sich momentan kaum widerlegen. Mehrere Stadtverwaltungen haben aber keine größeren Auswirkungen in Bezug auf Staus festgestellt.

NACHHALTIGE KONZEPTE GEFORDERT
Dass Städte einen entscheidenden Einfluss nehmen können, zeigt das Beispiel Niederlande. Kein Land tut so viel für seine Radfahrer:innen. Die niederländischen Verkehrsplaner:innen kombinieren Infrastruktur und Psychologie, um nachhaltige Verkehrsmittel im Alltag zu fördern. Das beginnt beim Bau von Wohnungen. Neubaugebiete werden an das Radnetz und den Öffentlichen Verkehr angeschlossen, noch bevor die ersten Bewohner:innen ihre Umzugskartons auspacken. “Aber das haben die schon immer so gemacht.” Eben nicht. Der mobile Wandel begann erst in den 1970ern mit der großen Ölpreiskrise. Notgedrungen. Es brauchte drei Jahrzehnte.
Die Weltgeschichte schenkt uns manchmal Gelegenheiten für grundlegenden Wandel. Der startet mit Symbolen, die sich bewähren, und wird dann unaufhaltbar. Ganz drastische Pläne hat zuletzt sogar Mailand vorgelegt. Die norditalienische Metropole ist flach wie Holland, eine Hochburg des Radsports, aber ein Verkehrsmoloch für alle und ein Graus ganz besonders für Alltagsradler. Noch.
FAZIT
Obwohl sich in den letzten beiden Jahren einiges getan hat, sind wir erst am Anfang. Die Pop-up Radwege haben gezeigt, dass mehr Tempo möglich ist. Trotzdem sind europäische Städte immer noch auf Autoverkehr gepolt. Das letzte Clean Cities-Ranking mahnt, dass keine(!) europäische Stadt es schaffen würde, das Zieldatum 2030 für “Zero Emission Mobility” einzuhalten. Oft bremst die Angst der Politiker:innen die Verkehrswende. Gerade in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Doch zur Förderung des Radverkehrs braucht es den Mut, Platz für diesen zu schaffen. Und Platz schaffen bedeutet in diesem Fall auch, dem Autoverkehr Fläche wegzunehmen.